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Nachlese zum 70. Geburtstag der Matriarchin Alice Schwarzer

"Man kann nur die Ärmel hochkrempeln und sich an die Arbeit machen."
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"Man kann nur die Ärmel hochkrempeln und sich an die Arbeit machen."

Abgrenzen von Alice Schwarzer ist zum Lieblingssport der Nachgeborenen geworden. Da wäre Schwarzers antike Haltung zur penetrierenden Sexualität, die ihrer Ansicht nach keine Lust erzeugen kann. Darüber mokiert sich etwa Moderatorin und Autorin Charlotte Roche. Ihre Uminterpretation des Pornografiebegriffs, den sie allein auf der Welt mit erniedrigenden Darstellungen von Frauen gleichsetzt und so tut, als gäbe es nicht massenhaft andere Pornos, Pornos für Frauen, zum Beispiel. Das halten ihr die Alphamädchen Barbara Streidl, Susanne Klingner und Meredith Haaf vor. Rechtzeitig zu ihrem 70. Geburtstag am 3. Dezember legte dann die Historikerin Miriam Gebhardt nach und warf ihr in ihrem Buch „Alice im Niemandsland“ vor, dass sie die Frauen erst zu Opfern des Patriarchats erklärt und dann mit einem rigiden „Ändere Dich gefälligst“ an sie herantritt – und sie letztlich überfordert.


Ohne Alice Schwarzer, so lässt der Nachwuchs immer wieder durchblicken, wäre der Feminismus schöner und lebensnäher gewesen, Alice Schwarzer habe seinen Ruf durch Monopolisierung ruiniert. „Für meine Generation bist Du eher ein Monument, eines aus schwarzem Marmor, schrecklich und schön zugleich“, schreibt ihr Journalistin Anna Sauerbrey in einem Geburtstagsbrief im „Tagesspiegel“ aus Berlin. Von ihrem „langen Schatten“, den sie auf junge Frauen werfe, ist in der „Frankfurter Rundschau“ die Rede. Und Miriam Gebhardt sieht in der „Financial Times Deutschland“ eine „Matriarchin im Herbst“: Schwarzer sei der „Markenname einer Unternehmung geworden, die ein Produkt verhökern wird, das niemand mehr haben will“.

Ohne Alice Schwarzer wäre es schöner? Niemand will sie mehr? Beides ist ein Irrtum. Ihre Bücher laufen glänzend, ihre Auftritte sind ausverkauft – und beliebt durchaus auch bei jungen Frauen. Und – was die Kritikerinnen gern übersehen: Alice Schwarzer ist zwar dank Köpfchen und Mundwerk die Galionsfigur des Feminismus in Deutschland geworden. Aber ihre Haltung ist keineswegs so isoliert wie etwa Gebhardt annimmt. Eine Menge Frauen in Deutschland haben ein Problem mit Pornografie und Prostitution. Man muss nur mal bei Terre des femmes anfragen. Und sehr sehr viele Frauen, übrigens auch säkular eingestellte Musliminnen, finden ebenso wie Alice Schwarzer, dass ein Kopftuch die „Flagge des Islamismus“ sei. Alice Schwarzer hat diese Haltungen nur rhetorisch aufgerüstet und greift mit ihnen an. Ohne Alice Schwarzer hätten wir ganz ähnliche Diskussionen – was übrigens auch ein Blick ins Ausland zeigt: Keine Alice Schwarzer – dennoch ähnliche Debatten über Pornos, Prostitution, Kopftücher. Und die so unangenehm stechende These vom Patriarchat – sie mag zu platt und dichotomisch daherkommen, aber können wir sie wirklich schon einfach so ersatzlos verabschieden?

Es ist zwar verständlich, wenn junge Frauen sich von einem rigiden feministischen Über-Ich bedrängt sehen und es wegwünschen oder sein Ende herbeisingen wollen. Doch interessanter wird es immer dann, wenn sie Schwarzer als Diskussionspartnerin Ernst nehmen. Sie ist ja kein Über-Ich. Sondern eine reale Person, die keine Scheu hat, sich angreifbar zu machen. Mit unbequemen Positionen. Man kann ihr nicht immer weiter vorwerfen, dass sie dominant ist und keine prominente Gegenspielerin hat. Man kann nur die Ärmel hochkrempeln und sich an die Arbeit machen.